Zum Gedenken an Dr. Julia Eva Wannenmacher (5.5. 1966 – 26.10. 2019)

Aus der Pfalz stammend, studierte die Verstorbene nach dem Abitur in Berlin Evangelische Theologie, Klassische Philologie (Latein) und Philosophie. Bereits während dieser Zeit entdeckte sie, die sich auf mittelalterliche Kirchengeschichte spezialisiert hatte, ihr Lebensthema, nämlich die Apokalyptik im Werk des Abts, Ordensgründers und Geschichtstheologen Joachim von Fiore. Lange arbeitete sie an der Edition von dessen Werken. Der Erlanger Dissertation von 2002 zu obiger Thematik folgte später noch die Herausgabe bzw. Mitarbeit an zwei weiteren Büchern zum gleichen Themenkreis. Mit den nun in raschem Abstand folgenden zahlreichen Fachartikeln und Rezensionen (insgesamt dürften es über einhundert gewesen sein) erwarb sie sich große Anerkennung.

Seit der frühen Jahrtausendwende lehrte sie an der Berliner Humboldt-Universität, war aber auch an mehreren Forschungsprojekten in Erlangen beteiligt. Bereits als Teenagerin Vegetarierin geworden, betrachtete sie es nun zunehmend als ihre Mission, den Gedanken der Tierethik in Lehraufträgen, Vorträgen und Artikeln zu thematisieren. Aus ihrem Fach war sie dazu möglicherweise durch Franz von Assisi, den sie sehr verehrte, inspiriert worden.

Auch in ihrer Eigenschaft als Berliner Bürgerin engagierte sich sie sich vielfältig, sei es in der Koordination der Bürgerinitiative gegen den Ausbau der A 100, oder in ihrer Unterstützung der Verfassungsklage von Daniel Böhme, die darauf abzielte, Kindern das Recht auf vegane Ernährung in der Schule zu gewähren. Als überzeugte Tierschützerin beteiligte sich die nunmehrige Veganerin an vielfältigen Demonstrationen gegen Jagd, Pelztierhaltung, Tierversuche und Stopfleber. Dabei arbeite sie mit Animal Equality zusammen. Auch privat führte sie ein offenes Haus, das viele Personen aus der damals verfolgten österreichischen Tierrechtsszene wie z.B. Martin Balluch und Chris Moser beherbergte.

Innerhalb der neu entstandenen Disziplin der Human Animal Studies hielt sie viele Vorträge, so z.B. auch bei den Ringvorlesungen zum Tierschutz an der Universität Innsbruck. Gerade als Theologin war es ihr ein Anliegen, innerhalb der AKUT e.V. (Aktion Kirche und Tierschutz) für die Tierrechte in ihrer, aber auch den anderen Kirchen, einzutreten. Wenn sie auch nicht selten über den geringen Status der Tiere in kirchlicher Lehre und Praxis haderte, begnügte sie sich dennoch nicht mit bloßer Kritik und wurde selbst produktiv. Daraus erwuchsen mehrere Blog-Artikel und eine Tierschutzpredigt.

Bereits Mitglied der Gruppe Berlin-Vegan geworden, für deren Blog sie viele Artikel schreiben sollte, gründete sie in Kooperation mit der obigen Organisation zusammen mit Andreas Grabolle die Vereinigung Tierrechtstheorie Berlin. Der Start dazu war ein von ihr 2013 organisiertes Seminar zu Tierrechten, an dem u.a. Klaus Petrus teilnahm. Etwas später rief sie, ebenfalls zusammen mit A. Grabolle, die Facebook-Seite der Tierrechtstheorie Berlin ins Leben. Dort konnte sie alle ihr wichtig erscheinenden tierrelevanten Themen in ganzer Breite und recht lebensnah präsentieren, eine Tätigkeit, die wie sie selbst einmal gestand, ihr vor allem wegen der damit verbundenen Chance auf breite Resonanz besondere Freude bereitet hatte. Auch freundete sich in dieser Zeit mit Schriftstellerin und Tierrechtsaktivistin Hilal Sezgin an. Einige Zeit später wurde sie Mitglied von Minding Animals Germany, wo sie sich ebenfalls als Vortragende betätigte.

Inzwischen hatte sie sich beruflich an die Universität Bern verändert, wo sie mit Editionsarbeiten der Werke des Schweizer Theologen und (Volks-)Schriftstellers Jeremias Gotthelf betraut wurde. Auch hier war ihr Haus am schönen Thuner See Treffpunkt verschiedener Tierrechtsaktivisten, u.a. erneut von Martin Balluch, der von dort aus zu seinen Vortragsreisen und Buchpräsentationen in der Schweiz aufbrach.

Doch nun war bereits ein Schatten in Gestalt einer schweren Erkrankung in ihr Leben getreten. Anfangs schien dies ihre Energie nicht zu beeinträchtigen: nach eigenem Geständnis wollte sie weiterhin „aktiv sein, arbeiten und reisen“. Zu Letzterem hatte sie, nachdem ihr geliebtes Italien nun nicht fern war, ausgiebig Gelegenheit. Bei allen tapfer ertragenen (zeitweiligen) Rückschlägen in ihrem Befinden verlor sie nie die Hoffnung und den Gleichmut. In einem Anflug von Humor meinte sie einmal, dass ihre Beschäftigung mit den Fragen der Apokalypse ihr die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit erleichtert habe. Anfang 2019 jedoch nahm ihre Resilienz immer mehr ab. Dennoch konnte sie noch im Sommer trotz großer körperlicher Strapazen mit den Töchtern ausgiebig in Europa umher reisen. Für Dezember hatte sie sich noch zu einem Vortrag in Erlangen über die islamische Tierethik verpflichtet, ein Gebiet, in das sie sich unter Anerkennung vieler Fachgelehrter intensiv eingearbeitet hatte. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Sie, die sich selbst nie in den Vordergrund gestellt hatte, starb, von der Welt fast unbemerkt. Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt der Familie, besonders den beiden noch nicht volljährigen Töchtern. Diese hat sie nicht nur gelehrt, was Tierliebe heißt, sondern diese täglich, nicht zuletzt im Umgang mit den von ihr aufgenommenen verletzten bzw. ausgestoßenen Katzen, selbst vorgelebt.

Die Tierrechtsbewegung verliert mit ihr eine bedeutende Mitstreiterin, die Autorin dieser Zeilen darüber hinaus eine schmerzlich vermisste Freundin. Sie hat in sich in genuiner Weise die in Bachs gleichnamiger Kantate (BWV 147) genannten gesammelten Eigenschaften der Wahrhaftigkeit verkörpert, nämlich einen organischen Einklang von „Herz und Mund und Tat und Leben“. Die in diesem Zusammenklang sich ausdrückende umfassende Glaubwürdigkeit im Denken und Handeln ist auch ihr Auftrag und Vermächtnis an unsere Bewegung. Versuchen wir uns, in Dankbarkeit diesem Erbe würdig zu erweisen!

Arabella Unger, Dipl-Päd., M.A.