CFP Tierstudien „Kranke Tiere“
Tierstudien, Ausgabe 14/2018
Herausgegeben von Jessica Ullrich und Kerstin Weich
Call for Papers
Der Begriff der Krankheit zählt zu den „thick concepts“: als zentrale Dimension lebendigen Seins ist er Gegenstand philosophischer Reflexion, in kulturwissenschaftlicher Perspektive sind Krankheiten sinnstiftende Erfindungen und Strategien, soziologisch markieren sie Ein- und Ausschlüsse, in den Lebenswissenschaften leiten sie die Wissensgenerierung an, in der kurativen Medizin legitimieren sie praktisch-invasive Zugriffe auf Körper, Organe und Ausscheidungen und nicht zuletzt sind Krankheiten lebensweltliche subjektive Erfahrungen. In dieser Ausgabe der Tierstudien soll nach den Phänomenen und Effekten gefragt werden, die von Tieren in diesem komplexen Bedeutungshorizont des Pathologischen erzeugt werden, wenn sie krank sind oder eine Krankheit haben.
Über die Rolle hinaus, die kranke Tiere in der (Tier-)Medizin und biowissenschaftlichen Forschung auf epistemologischer, semiotischer wie praktischer Ebene spielen, wird nach den Strategien und Praktiken der sozio-kulturellen Konstruktion tierlicher Krankheitsvermögen gefragt. Wie werden Tiere krank? Wie werden welche Erscheinungen tierlichen Lebens pathologisiert, wie verändern sich dadurch Behandlung und (Selbst-)Wahrnehmung tierlicher Körper? Wie erzeugen kranke Tiere ihrerseits Handlungsrationalität? Wie verändern etwa depressive Hunde oder BSE-infizierte Rinder Vorstellungen vom Pathologischen – zwischen Somatik und Psyche – und damit Ordnungen des Animalischen und des Menschlichen?
Was verraten tierliche Pathologien als Devianzen über die jeweiligen Vorstellungen von der Normalität etwa eines Wild-, eines Haus- oder eines Nutztiers? Ein einzelnes Masthuhn verfügt über kein Krankheitsvermögen, wohl aber der gesamte Bestand. Eine Hauskatze ist dank Routinechecks krank, bevor Symptome auftreten. Ein Sportpferd leidet an Sehnenschäden, eine Kuh gilt als krank, wenn die Milchleistung sinkt; ein verletzter Seeadler wird in der Tierklinik operiert, eine kranke Stadttaube ignoriert. Unter welchen Bedingungen werden Tiere krank? Wie werden die Grenzen zwischen dem Normalen und dem Pathologischen in unterschiedlichen Kontexten gezogen? Krankheiten sind Ausdruck spezifischer Situiertheiten von Tieren in der Gesellschaft, Pathologisierungen erscheinen als Strategien für die Einschreibung in soziale Kategorien und bergen zugleich politisch-subversives Potenzial, indem sie speziesübergreifend bestimmte Lebenserscheinungen problematisieren, was wiederum zur Ausbildung widerständiger Kollektiv-Subjekte genutzt werden kann. Welche Arten der ‚Ansteckung‘ können so in Bezug auf kranke Tiere virulent gemacht oder kritisiert werden? Die epidemiologische Beschreibung von Zoonosen führt zu Abschottung und Schreckensszenarien von Keulungen, während die Dickleibigkeit von Herr und Hund als Paradebeispiel einer zukunftsweisenden One-Health-Perspektive herhalten muss. Wie tragen Krankheitsdeutungen dazu bei, individuelle wie kollektive tierliche Körper in gesellschaftliche Habitate, soziale Relationen und kulturelle Wertvorstellungen einzupassen? Wie durchkreuzen kranke Tiere solche Ordnungen?
Kranke Tiere sind biosoziale Phänomene von sich wandelnden Gefügen aus Körpern und Erfahrungen, aus Praktiken und Beschreibungen, deren Spuren und Erscheinungsformen auch aus historischer und/oder außereuropäischer Perspektive verfolgt werden sollen. Welche Krankheitsbilder werden, auch jenseits der westlich-gegenwärtigen Dominanz wissenschaftlich-medizinischer Repräsentationen von, mit und über Tiere gezeichnet?
Wir suchen nach historischen, soziologischen, psychologischen, tiermedizinischen, rechtswissenschaftlichen und ethologischen Studien. Andere, hier nicht aufgeführte Beiträge zum Themenkomplex ‚Kranke Tiere‘ sind ebenso willkommen.
Abstracts von nicht mehr als 2.000 Zeichen senden Sie bitte bis zum 1. Februar 2018 an jessica.ullrich@neofelis-verlag.de <mailto:jessica.ullrich@neofelis-verlag.de> und kerstin.weich@vetmeduni.ac.at <mailto:Kerstin.Weich@vetmeduni.ac.at>.
Die fertigen Texte dürfen eine Länge von bis zu 22.000 Zeichen haben (inklusive Leerzeichen und Fußnoten) und müssen bis zum 1. Juni 2018 eingereicht werden. Danach gehen sie zur Peer Review an den wissenschaftlichen Beirat von Tierstudien. Auf Grundlage der Gutachten des wissenschaftlichen Beirats wird über die Annahme der Texte zur Veröffentlichung entschieden. Erscheinungsdatum für die angenommenen Texte ist Oktober 2018.