CFP Tierstudien 08/2015
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Tierstudien 08/2015 – WILD
Herausgegeben von Jessica Ullrich
„The most alive is the wildest.“
Henry David Thoreau – Walking (1862)
Wildheit gehört zu den grundlegenden kulturellen Zuweisungen von Animalität, wobei nicht nur Raubtiere, sondern auch Barbaren, Kinder und Naturausschnitte als wild gelten können. Dabei wird das Wilde meist assoziiert mit dem Ungezügelten, mit Fremdheit und Sprachlosigkeit.
Für die einen ist der Teil der Natur wild, der nicht von Menschen kontrolliert werden kann, für die anderen der, der unterworfen und gezähmt werden muss. Als unkorrumpierte Natur kann Wildnis mit den dort heimischen Tieren Erholung bieten – oder aber Gefahren bergen.
Es existieren Skalen, um die spezifische Wildheit von Labormäusen zu testen und es gibt eine eigene Kategorie von Tieren, die landläufig einfach als „Wild“ bezeichnet und damit als jagdbar markiert wird. Dennoch bleiben die Definitionen von ‚wild’ und ‚Wildheit’ stets vorläufig und wandelbar. Denn was sind die epistemischen Unterschiede zwischen der Wildheit eines Wolfs, eines Dingos, eines Wildhundes, eines streunenden Hundes? Zuweilen verlaufen die Grenzen fließend und ein Haushund kann wild werden oder verwildern, ein Wolf kann gezähmt werden. Auch bestimmte Menschengruppen werden als ‚Wilde’ diffamiert, oft, aber nicht nur im kolonialen Kontext. So wurde das sogenannte ‚Wolfskind’ Victor, das ohne menschliche Kontakte aufwuchs und mühsam ‚domestiziert’ wurde, als „Wilder von Aveyron“ bekannt.
Wilde Tiere haben im Vergleich zu domestizierten Haustieren in der Obhut und im Besitz von Menschen andere, meist eingeschränkte Rechte („Füttern verboten“). Will Kymlicka und Sue Donaldson fordern jedoch in ihrer politischen Theorie der Tierrechte Zoopolis, die Souveränität von Wildtieren und deren Territorien anzuerkennen und zu schützen.
Wildheit kann sowohl als eine negative Figur der Aus- und Abgrenzung des Anderen und des Unzivilisierten konstruiert werden als auch als positive, vitale Qualität von ungezähmten Tieren (und Menschen). Gilles Deleuze und Félix Guattari verlachen gar die Freunde von Katzen und Hunden und respektieren nur wilde Tiere, solche die in Meuten, Rudeln und Schwärmen vorkommen und sich nicht zum ödipalen Familientier eignen. Und für Claude Lévi-Strauss ist die (hypothetisch) ganzheitliche, improvisierte und magische Weltanschauung sogenannter ‚Naturvölker’ schlicht „wildes Denken“.
‚Wild’ muss also keine Eigenschaft des Ausgeschlossenen sein, sondern kann zu einem (bewusst gewählten) Aktionsmodell mit subversiver Kraft werden. Es stellt sich hierbei u.a. die Frage, ob tatsächliche oder vorgebliche tierliche Wildheit zuweilen gar als Widerstand gegen Repräsentationsdispositive gelesen werden kann?
Wir suchen nach Beiträgen z.B. zum Umgang mit wilden Tieren in den unterschiedlichsten Kontexten, zu wilden Tieren als Denkfigur, zu Wildheit als philosophischem und sozialem Konstrukt oder kultureller Trope, zu „wilden Kindern“, Wildschutz, Wildlife Safaris, Auswilderung und Verwilderung – aber gerne auch zu anderen Phänomenen, die ‚Wildes’ kritisch beleuchten.
Erwünscht sind insbesondere Analysen von Literatur, bildender Kunst, Film, Theater, Musik und Populärkultur. Aber auch historische, philosophische, soziologische, psychologische, religionswissenschaftliche und rechtswissenschaftliche Texte sowie naturwissenschaftliche Themen sind sehr willkommen.