MINDING ANIMALS INTERNATIONAL, MEXICO CITY, JANUAR 2018 – YOU ROCK!

Bis zu 400 Leute aus verschiedensten Ecken der Welt kommen zusammen, um sich über ihre Arbeit und ihren Einsatz für nicht-menschliche Tiere auszutauschen. Ein paar Herkunftsländer seien hier genannt: Indien, Kolumbien, Mexico, Australien, Deutschland, USA, Canada, Schweiz, Italien, Spanien, Frankreich, UK, Dänemark, Schweden… darunter befinden sich Aktivist_innen, Akademiker_innen, Filmemacher_innen, Künstler_innen, Food-Provider_innen.
Klaren Sprachvorteil haben selbstverständlich alle Englishnative speakers, was das ein oder andere Mal auch in den Diskussionen deutlich wird – wo nicht-Muttersprachige sich ihre Kommentare und Fragen noch zusammenbasteln, gibt es bereits eloquent ausgefeilte Reaktionen. Auch der Bezug auf nicht englischsprachige Literatur ist eher dünn gesät – diese sprachliche Dominanz wird auch kritisiert und durchaus anerkannt. Dessen ungeachtet – so können wir uns verständigen und das ist das Wichtigste. Und es bringen sich auch so viele Positionen ein. Gerade dieses Beispiel verweist auf ein Thema, das sich durchzieht: Intersectionality, das Ineinandergreifen von vormals getrennten Disziplinen. Die Zusammenhänge von hierarchischen Strukturen zeigen sich nicht nur im Umgang mit nichtmenschlichen Tieren, Unterdrückung indigener Bevölkerung und Zerstörung von Lebensräumen durch kapitalistische Prozesse, sondern auch in sprachlicher Repräsentation. Nein, wir sind nicht perfekt. Aber wenigstes wissen wir das und arbeiten daran. Das umfangreiche und vielseitige Programm stellt jeden Tag neue Entscheidungsfragen. Abgesehen von den Keynotes, teilen sich die Panels in bis zu sieben Räume, invited speakers und Teilnehmer_innen mit eingereichten Beiträgen präsentieren in parallelen Sessions. Im Folgenden gebe ich einen Überblick über einige der von mir besuchten Veranstaltungen und mir ist völlig bewusst, dass ich eine Menge Spannendes und Wichtiges versäumt habe. Mit großem Dank an alle berichte ich hier nun über Einzelheiten.  Besonders aufregend ist der Block Animals and Feminism, zu dem Carol Adams, die Grande Dame der Disziplin, einen brillanten Input mit ihrer Keynote hält: „Mongrel Honesty: to talk about veganism is challenging patriarchy.“ Die Zusammenhänge von Fleischproduktion, Objektifizierung von Körpern und Sexismus, wie in „The Sexual Politics of Meat“ bereits längst dargelegt, erfahren anhand aktueller politischer Tendenzen inklusive den expliziten Entgleisungen des Präsidenten Updates, die wohl bis vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Das Männlichkeits-Stereotyp vom fleischessenden, übergriffigen Macho wird bilderbuchartig von rassistischen Beleidigungen flankiert. Dazu passt ein Vortrag von Iselin Gambert und Tobias Linné über „Purity“ – Aktionen der Alt Right-Angehörigen, die Milch trinken und sich selbst als „tolerant“ bezeichnen: „Laktose-tolerant“: So sehen sie sich im Vergleich zu vielen Menschen asiatischer oder afrikanischer Herkunftsländer mit Laktoseintoleranz als überlegen. Die Care-Ethikerin Lori Gruen berichtet über ihre Arbeit in Gefängnissen, in der fast ausschließlich „schwarze“ Männer festgesetzt sind. Sie beschäftigt sich in ihrem neuen Buch („The Ethics of Captivity“) mit Gefangenschaft von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren: „We need a new set of categories to address the harms and worries of captivity.“ Zu den aktuellen rechtlichen Debatten steuert Will Kymlickas Keynote wichtige Inputs bei. So berichtet er etwa über die Abwehr gegen Ansprüche, Tiere als Rechts-Subjekte zu etablieren. Diese reaktionäre Haltung versucht dem ständig wachsenden Wissensarchiv über tierliche Agency, Sensitivität und Persönlichkeit entgegenzusteuern, um das anthropozentrische Machtsyndrom aufrechterhalten zu können. In dieser Argumentation wird interessanterweise – so absurd es auch klingt – aus einer Vorstellung von „Würde des Menschen“ abgeleitet, dass der Mensch nichtmenschliche Tiere als Objekte zur Verfügung hat. Und gerade diese von den „Dignitarians“ erklärte „Würde“ soll Menschen auch erlauben, Tiere schlecht zu behandeln: „beating and breaking and terrifying animals“. Da ist ein absoluter Denk- und Auffassungsfehler drin, möchte man einwenden. Soziologische Erkenntnisse zeigen, so Kymlicka, dass sich Spezies-Hierarchien auch auf unterprivilegierte Minderheiten negativ auswirken. (Die Argumentation anhand des „Würde“-Begriffes dürfte sich so allerdings hauptsächlich im englischsprachigen Bereich abspielen, denn im deutschen Tierschutzgesetz wird explizit auf die „Würde des Tieres“ hingewiesen. Was leider allzu oft von den Verantwortlichen nicht beachtet wird.) Kymlicka sieht hinsichtlich eines „effective altruism“, der sich auf existienzielle Risiken, globale Hungersnot und Tierwohl bezieht, die Beschäftigung mit den Tieren in der industriellen Landwirtschaft als absolut vorrangig – auch in Bezug auf Maßstab, Unterrepräsentation des Problems und Interventionsmöglichkeiten. Hier herrscht der größte Handlungsbedarf. Die großen Vorbehalte von einer rechtlichen Aufwertung von Tieren zeigt aber auch die Arbeit von Marcel Sebastian, der sich mit dem Verbot des Verzehrs von Hunden in der deutschen Gesetzgebung befasst. Hier zeigt sich, wie die Ablehnung eines solchen rechtlichen Verbots argumentiert wird: Nämlich, dass die Besonderheit der Mensch-Hund-Beziehung als Präzedenzfall herangezogen wird und sich möglicherweise auf andere Tiere ausweiten könnte. Die Annahme des Verbots wurde dann, nach mehreren gescheiterten Anläufen, erst durch hygienische Argumente möglich. Daraus ist klar ersichtlich, dass die Stellung nichtmenschlicher Tiere vor den Gesetzgeber_innen keineswegs eindeutig ist. Bezüglich des moralischen Status von Tieren gibt es verschiedene Auffassungen bei den einzelnen Vortragenden; während einerseits Tiere als moralische Akteure verteidigt werden, verlangen andere, sie als „moralische Patienten“ (moral patients) zu etablieren, um Rechtsansprüche, die an Tiere gestellt werden könnten und die per se anthropozentrisch definiert wären, auszuschließen.  Ethische Implikationen der Mensch-Tier- Beziehungen werden von Inputs seitens Beril Sözman klar formuliert und zeigen in ihrer relationalen Verwobenheit auch ein klares Zugeständnis: Einerseits eine Demut gegenüber der eigenen Unfähigkeit, zu 100 Prozent das ganze Bild zu erfassen und entsprechend reagieren zu können, wofür sie den schönen Ausdruck „imperfectly virtuous“ verwendet.Den hohen Anspruch an sich selbst aber, eine „tugendhafte Person“ zu werden, indem man auf die Bedürfnisse des anderen eingeht. Das nichtmenschliche Tier ist so ein anderer, der, wie alle Lebewesen, intrinsischen Wert besitzt, also nicht, durch irgendwelche Eigenschaften, erst Wert erarbeiten muss.  Ich selbst stelle mein Work in Progress vor, indem ich befreundete Omnivor_innen, die sich als umwelt- und tierfreundlich bezeichnen und behaupten, nachhaltig zu leben, zu ihren Einstellungen befrage. Die Antworten enthalten nicht wenige Überraschungen, von Ausflüchten und Ablenkungen abgesehen, verwickeln sich einige in innere Widersprüche. Cognitive Dissonance live, sozusagen. Ein wunderbarer Beitrag zur Phänomenologie-Debatte kommt von Roberto Marchesini, der den Weg von zootechnologischen Strukturen zu einer Zooanthropologie beschreibt: Darin geht es um den Abbau von vermeintlichen Interfaces, die zwischen Tier und Mensch vermitteln sollen. Sein „sharing principle“ legt vielmehr Wert auf die geteilten Erfahrungen von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren, als da wären: Gefühle erleben, Tendenzen, sich zusammenzutun, Mutterliebe, Bewegung: „We are a story of relationships. We are also present inside the others.“  Viele örtliche und US-amerikanische Tierrechtsaktivist_innen haben vordem Auditoriumseingang Stände und Informationsmaterial aufgebaut und erzählen von ihren Aktionen. Unterrichtsprogramme für Schulen, organisierte Besuche in Animal Shelters. Es gibt vegane Stiefel, wunderschön bunt, Doc Martens Style. Außerdem Informationen zu Kochschulen und Food Trucks. Hier lässt sich ein klarer Bezug zu den sich wechselseitig inspirierenden Aktionen zeigen: Vegan Food Provider arbeiten mit einer lokalen indigenen Community zusammen – und man kann während der Konferenz die Probe auf ’s Exempel machen, wie gut dieses Essen ist. Im Laufe des Tages während der Konferenz bestellen, abends ins Hotel liefern lassen. Gerardo Tristan, Aktivist von Animales Libertarios und politisch für indigene und LGBTQ Interessen im Einsatz, organisiert hier unterschiedliche Wünsche – einfallsreich komponierte mexikanische Speisen. Eigentlich wenig erstaunlich, dass die Alltags-Küche der indigenen Bevölkerung auf Fleisch früher weitgehend verzichtet hat. Auch die kooperierenden Kolleg_innen von UNAM (Universidad Nacional Autonoma Mexico) stellen mittags veganes Essen und Gebäck zu den Kaffee- und Teepausen zur Verfügung und beweisen Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Ein beeindruckendes Beispiel aus der Praxis von Therapien, in der tierliche Akteure eingebunden sind, stellen Sally Price und Caron Whaley in „Donkeys as teachers: Developing Human-Animal-Studies Life Skills ans emotional intelligence in vulnerable children and adults“ vor (The Donkey Sanctuary). Vor allem menschliche Kinder und junge Erwachsene treffen hier auf Esel, mit denen sie „arbeiten“, mit denen sie spazieren und die sie streicheln. Das Programm hat sich soeben als Begleitung zur Rehabilitation bei Suchtmittelerkrankungen geöffnet. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Esel nicht unter dem Stress stehen, mit den Leuten arbeiten zu müssen. Sie können sich zurückziehen und häufig beenden die Esel die Session. In dieser Arbeit zeigt sich, wie die hohe Sensibilität der Tiere einen Wandel in der Selbstwahrnehmung der ratsuchenden Menschen bewirken kann. Ganz andere Tierbegegnungen werden im Tiger Nationalpark Rajasthan ermöglicht, von dessen vielseitigen Aktivitäten zum Schutz der Tiger und ihres Habitats Aruna Rao berichtet. Zudem beleuchtet sie die ökonomischen Aspekte der Nationalparks. Ein weiteres Beispiel für kooperative Mensch-Tier-Beziehungen wird im Dokumentarfilm „Dogs of Democracy“ von Mary Zoumazi dargestellt, in der die Hündinnen und Hunde in Athen mit Menschen, die ihre Wohnung verloren haben, zusammenleben und sogar, wie eine Athenerin berichtet, mit zu den Demonstrationen gegen die Sparmaßnahmen der Regierung gehen. Hunde und Menschen sorgen wechselseitig füreinander, leisten sich Gesellschaft und bieten einander Trost in ausweglos erscheinender Lage.  Das umfangreiche Thema Tiere in der Kunst spannt einen Bogen von Tieren als Ko-Produzenten von Kunstwerken – wie etwa beiSkulpturen, die in Koproduktion mit Papageien entstehen, und die als Beispiel für Kooperation mit tierlichen Künstler_innen von Anne Hölck und Ute Hörner – wie in der Ausstellung „Animal Lover“ im NGBK Berlin – vorgestellt werden. Oder in den Birdsong-involvierenden Hörbildern von CatherineClover, die in ihre Vogelgesangs-Aufnahmen die Stimmen des menschlichen Publikums miteinfließen lässt und so auf das Kontinuum zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren, von Akteur_innen und Publikum, verweist. Tanzende und trommelnde Tiere finden mit Martin Ullrich Eingang in den Hörsaal, er präsentiert die sagenhaft anmutenden Tänze des Lyrebird und zeigt, wie Kakadus sich ihre Drumsticks selbst fabrizieren. Das einzigartige Trommel-Muster eines(gefangenen) Schimpansen untermauert die Theorie von der Individualität jedes einzelnen Tieres – bis dahin und auch nicht danach wurde ein solches Trommelmuster mit ganz spezifischen Rhythmusfolgen, von einem Affen getrommelt, aufgenommen. Selbstverständlich wird auch die Problematik von Versuchen mit nichtmenschlichen Tieren thematisiert, ebenso wie die Verwendung von Tieren oder Produkten, die von Tieren stammen, für Kunstwerke. Jessica Ullrich, Carol Gigliotti und Yvette Watt stellen einen ausgefeilten Kriterienkatalog für Künstler_innen und Kurator_innen vor, der zu reger Diskussion Anlass gibt. Heißt Freiheit der Kunst Freiheit von moralischen Implikationen? Zudem zeigt sich die großteils unproblematisierte Verwendung von Tieren als Material in zeitgenössischer Kunst, was die Wichtigkeit eines solchen Kriterienkatalogs ein weiteres Mal untermauert. Der Vorschlag, diese Kriterien auch den interessierten Galerie-Besucher_innen zukommen zulassen, kann eine durchaus geeignete Intervention zur Bewusstmachung sein.
Wunderbare Beiträge aus den Literary Animal Studies liefern Elizabeth Tavella und Sue Pyke. Tavella zeigt in einem Wiederlesen von Calvinos „Mr. Palomar“, wie sich die Begegnung mit Tieren aus cartesianischer Sicht darstellt und den Protagonisten schließlich in den Selbstmord treibt, weil er sich der Konfrontation mit dem Auge des Reptils nicht gewachsen sieht. Sue Pyke argumentiert für die Literatur als Annäherungsmöglichkeit an andere Realitäten und Lebensweisen und spricht sich für eine starke Subjektivität und Verflochtenheit aus. Literarische Texte können durch Emotionalisierung zu Erkenntnissen führen, die bloße Faktenaufzählungoft nicht erreichen.
Die Konferenz war eine inspirierende, hoffnungsvolle Veranstaltung, die durch die Verschiedenartigkeit der Teilnehmenden viele neue Inputs und gangbare Wege in Sachen Human-Animal-Relations mit sich bringt. Die unvergleichlich angenehme Voraussetzung, dass jede und jeder auf ihre Weise der Sache verpflichtet ist, schafft eine konstruktive Atmosphäre, in der jedes Gespräch von vornherein eine gemeinsame Basis hat. Selbstverständlich gibt es weiterhin Divergenzen zwischen utilitaristischen und abolitionistischen Ansätzen, zwischen Tierwohl und Tierbefreier_innen. Ungeachtet dessen gab und gibt es Grund, sich über die Veranstaltung zu freuen, daraus Kraft und Inspiration zu schöpfen, miteinander in Kontakt zu bleiben. Das macht die Stärke aus. Und Lebensfreude, wie beim Eröffnungs- und Abschlussabend, mit wunderbarer Musik und Gesang und Tanz und vorzüglichem mexikanischen veganen Fingerfood. Dank an alle Veranstalter_innen und Minding Animals. Weiter so.
erschienen März 2018 • Tierbefreiung 98 | 49
(smk)