Von toten Papageien, singenden Finken und verschwindenden Habitatbäumen
Graphic recording der Tagung von Lena Winkel (Copyright: Lena Winkel)
Tagungsbericht zum Minding Animals Germany Symposium 2025 in Nürnberg von Judith Benz-Schwarzburg
Vor einigen Jahren haben sich an der Hochschule für Musik Nürnberg die Tiere eingeschlichen, sie haben sich eingenistet und sind ein fester Bestandteil der Hochschullandschaft geworden, wie auch anderswo im internationalen akademischen Geschehen. Zu verdanken haben wir das den Human-Animal Studies, dem wissenschaftlichen Bereich der Forschung, in dem das Tier als Motiv untersucht wird, aber auch als handelnder, fühlender und denkender Co-Creator einer gemeinsamen Welt. Eine ganze Reihe an Disziplinen, von der Philosophie und Tierethik bis zur Biologie, von den Kulturwissenschaften bis zur Veterinärmedizin, von den Sozial- und Politikwissenschaft bis eben auch hin zur Musikwissenschaft haben sich dem Tier zugewendet. Oft wird dabei interdisziplinär gearbeitet und es werden transdisziplinäre Grenzen befragt und überschritten, indem man auch die Herangehensweisen und Themen von außerhalb der Wissenschaft hin zur Gesellschaft miteinbezieht, beispielsweise über Kooperationen mit KünstlerInnen und AktivistInnen. Dabei stehen sowohl die kritische Beleuchtung bestehender Mensch-Tier Verhältnisse, als auch das Ausloten ethischer Zukunftsutopien im Mittelpunkt, wie sie etwa in den großflächigen Gemälden von Hartmut Kiewert (aus seiner Reihe Utopia) zum Ausdruck kommen.

Das Plakat zum MAG25 Symposium mit Hartmut Kiewerts Bild Strand IV, 2025, Öl auf Leinwand (Copyright: Hartmut Kiewert)
Eines seiner Bilder schmückte dieses Jahr auch das Plakat des Minding Animal Germany Symposiums. Organisiert von Minding Animal Germany, einer Untersektion von Minding Animal International, dem weltweit größten inter- und transdisziplinäre Netzwerk in den Human-Animal Studies, war die deutschsprachige Community vom 24.-25. Oktober 2025 zu Gast an der Hochschule für Musik Nürnberg.
Auf hohem wissenschaftlichem Niveau wurde ein vielfältiges Programm behandelt, nachdem Renate Reitinger (Vizepräsidentin für Studium, Lehre und Forschung der Hochschule für Musik) betont hatte, wie relevant und vielversprechend die Veranstaltung für die Hochschule als Gastgeberin sei. Martin Ullrich (Professor für Interdisziplinäre Musikforschung mit Schwerpunkt Human-Animal Studies) und ich selbst (Judith Benz-Schwarzburg, Tierethikerin an der Veterinärmedizinische Universität Wien und und eine der RepräsentantInnen von Minding Animals Gernany) eröffneten die Tagung und übergaben Ute Hörner (Kunsthochschule für Medien Köln) das Wort für den Eröffnungsvortrag. Dieser nahm zum Auftakt die ZuhörerInnen mit auf eine Reise in die kolonialen Sammlungen unserer Naturkundemuseen, in denen Graupapageien, wie viele andere Vertreter seltener und „exotischer“ Arten, einsortiert und haltbar gemacht in den Schubladen riesiger Keller Archive lagern. Getötet vor Jahrzehnten sind die Papageien feinsäuberlich nummerierte Zeugen des menschlichen Wissensdrangs und der kolonialen Praxis der Erforschung ferner Länder und fremder Arten. Dennoch wirken die Tiere wie aufgebahrt und sind immer auch zugleich Zeugen ihrer eigenen Individualität, was Hörners künstlerische Verarbeitung der Zeichnungen und Videos aus ihrer Expedition in diese Sammlungen eindrücklich vor Augen führt.

Christina May sprach über „Akteure und Artefakte – Tiere und Immaterielles Kulturerbe“ (Foto Credit zur Folie: LHB Sachsen-Anhalt/lautwieseleise Matthias Behne, Foto Copyright: Judith Benz-Schwarzburg).
Das erste Panel zu „Tieren in Politik, Kultur und Aktivismus“ wendete sich mit dem Beitrag von Christina May solchen Mensch-Tier Praktiken zu, die den Anspruch erheben, immaterielles Kulturerbe zu sein (Haben Sie vielleicht schon einmal vom Harzer Finkenmanöver [https://www.unesco.de/staette/finkenmanoever-im-harz/] oder vom Almauftrieb des Harzer Rotviehs [https://www.mdr.de/video/mdr-videos/c/video-935764.html] gehört?), bevor Maria Schulze Praktiken der Jagdsabotage und Jagdstörung in den Blick nahm.
Danach zog Martin Ullrich im Panel „Tiere in Musik und Kunst“ zunächst eine Zwischenbilanz über die Arbeit auf seiner Professur und im Masterstudium Interdisciplinary Music Research und gab Einblicke in die laufenden und bereits abgeschlossenen Projekte der Studierenden im Bereich Human-Animal Studies. Es wurde deutlich, welche zentrale Rolle Tiere in der Musik spielen: Komponisten integrieren häufig Tierstimmen und Geräusche in ihre Werke, musizieren aber auch mit und für Tiere. Solche Projekte geben Aufschluss über musikalische Fähigkeiten bei Tieren, sagen aber auch sehr viel über den Menschen, seine kulturelle Identität, seine Natur und das Mensch-Tier Verhältnis aus.

Graphic recording von Lena Winkel zu Martin Ullrichs Vortrag „Zwei Jahre Masterstudium Interdisciplinary Music Research / Human-Animal Studies – eine Zwischenbilanz“ (Copyright: Lena Winkel)
Aus der künstlerischen Praxis boten danach Lena Lieselotte Schuster und Eva Seiler vom Interspecies Art Hub Wien Einblicke in ihre Arbeit und Kollaborationen, etwa zu Fragen der Mensch-Pferd Interaktion oder des Wildtier- und Taubenschutzes in der Stadt.
Die Tierethikerinnen Mara-Daria Cojocaru und Hilal Sezgin wiesen beide im letzten Panel des Tages auf die Gefahr hin, tierliche Interessen oder die tierliche Natur so weit holistisch zu verwässern, dass Errungenschaften der Wissenschaft, wie eine klare, evidenzbasierte Beschreibung tierlicher Interessen, inklusive eines tierlichen Interesses an Leidvermeidung, im Diskurs wieder untergehen könnten.

Hilal Szesgin sprach über „Die Natur der Tiere“ (Foto Copyright: Judith Benz-Schwarzburg).
Wie wichtig es ist, sich nach wie vor mit dem aktuellen Stand der Erforschung der Leidensfähigkeit der Tiere auseinanderzusetzen zeigte auch das erste Panel des zweiten Tages zu „Tiere und Schmerz“ mit Samuel Camenzinds ethischer Betrachtung des sogenannten Genetic Pain Disenhancement, also der gezielten Erschaffung von schmerzfreien Tiermodellen für die biomedizinischen Forschung. Der Tierethiker argumentierte dafür, dem angeblich kurz bevorstehenden Durchbruch skeptisch gegenüberzustehen, nicht nur, weil wir technisch weit entfernt von der Herstellung solcher Tiere sind, sondern auch weil alles andere als klar ist, in welchem Umfang diese Tiere tatsächlich nicht leiden und ob die Ausschaltung ihrer Leidensfähigkeit überhaupt ethisch wünschenswert ist.

Samuel Camenzind berichtete über sein Forschungsprojekt „Genetic Pain Disenhancement bei Tieren?“ (Foto Copyright: Judith Benz-Schwarzburg).
Es schlossen sich zwei Vorträge zu „Tieren im Design“ an. Sophia Wunderer stellte ihr Abschluss Projekt, eine Aufklärungskampagne zum Fleischkonsum, vor und Antonia Ulrich diskutierte Tier- und Habitatbaumschutz aus Design Perspektive. Letzterer gewinnt, vor allem in Großstädten wie etwa Hamburg, die einen Balanceakt zwischen Flächenversiegelung und Grünraumgestaltung aufführen, an Bedeutung.

Graphic recording von Lena Winkel zu Antonia Ulrich „Tier- und Habitatbaumschutz im Design (Copyright: Lena Winkel)

Graphic recording von Lena Winkel zu Sophia Wunderer „Imagine all the people“ (Copyright: Lena Winkel)
Das folgende Panel über „Virtuelle Tiere“ bot kritische Perspektiven auf bestimmte, normalisierte Praktiken in Computerspielen wie Minecraft, wo laut Thomas Hawranke und Pascal Marcel Dreier die Zucht, Haltung und massenhafte Tötung von Nutztieren von Spielern bisweilen gezielt unterlaufen wird, indem der Versuch unternommen wird, das Spiel vegan zu spielen. Ich selbst beleuchtete danach kritisch die Darstellung von Tieren in Virtual Reality Settings, etwa in Immersionsmuseen oder virtuellen Zoos. Dort wird zwar Tierleid vermieden, da keine echten Tiere mehr involviert sind, dennoch können bisweilen ethisch problematische Ideen von Tieren und Mensch-Tier Beziehung an Besucher weitergegeben werden, etwa die Idee, dass Tiere dazu da sind, uns zu unterhalten.
Im letzten Panel zur Tierethik schließlich verhandelte Björn Freter die Chancen der Ubuntu-Philosophie zur Überwindung des Speziesismus, bevor Kirsten Persson aus veterinärmedizinisch-ethischer Sicht die Tagung mit einem spannenden Vortrag zu „überzähligen“ Tieren und ethischen Überlegungen zum Alter(n) abschloss. Auch hier sind wir angesichts veterinärmedizinischer geriatrischer Behandlungsmöglichkeiten, zunehmender Hightech Medizin und einem wachsenden Angebot zum Altern und Sterben auf dem Heimtiermarkt (von altersgerechtem Futter über Krankenversicherungen bis hin zu Bestattungsangeboten für Heimtiere) mit weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert.

Graphic recording von Lena Winkel zu Kirsten Perssons Vortrag „Überzählige“ Tiere und ethische Überlegungen zum Alter(n)“ (Copyright: Lena Winkel)
Insgesamt trugen 16 ExpertInnen aus Wissenschaft, Kunst und Aktivismus aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu dieser Tagung bei und boten viele spannende Impulse zum Nachdenken, für weitere Forschungsprojekte und für die (oft dringend notwendige) gesellschaftspolitische Umsetzung. Nächstes Jahr trifft man sich an der Kunsthochschule für Medien Köln wieder und darf auch dort auf ein vielfältiges, hochkarätiges und inspirierendes Programm hoffen.
